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Je älter, desto vergesslicher – stimmt das so? Nicht unbedingt, denn die Gedächtnisleistung lässt sich trainieren, auch im Alter. Für Gehirnjogging, auch Gedächtnistraining genannt, gibt es keine Altersgrenze. Schon mit einfachen Denkspielen können wir unsere Merkfähigkeit steigern. Testen Sie unsere zehn Ideen!
Denkvermögen erweitern mit 50+
Ein konsequenter Trainingsplan, herausfordernde Rechenaufgaben mit steigendem Schwierigkeitsgrad – Gehirnjogging kann gar nicht knifflig genug sein. Noch dazu ist es unterhaltsam und macht offenbar ganz Erstaunliches möglich. „Mit einem engagierten Trainer lässt sich die Kapazität des Arbeitsspeichers im Hirn innerhalb von acht Wochen um 50 Prozent erweitern“, sagt Siegfried Lehrl, Präsident der Gesellschaft für Gehirntraining e. V. „Dies gilt auch für die Altersklasse der 50- bis 85-Jährigen“, betont der Neuropsychologe.
Training für mehr Gehirnleistung
„Durch das Hirnjogging wird vor allem das Frontalhirn trainiert“, erklärt Lehrl. Das führe dazu, „dass die grauen Zellen dicker und funktionsfähiger werden“. Eine Zunahme an Zellen geschehe aber allenfalls im Hippocampus – jenem Gehirnareal, welches dafür zuständig ist, dass Inhalte für einen längeren Zeitraum abgespeichert werden. Insgesamt wird die Produktion von Hirnbotenstoffen intensiviert. Lehrl weiter: „Der Dopaminspiegel steigt, und das heißt, dass ich mehr tun kann und will.“
Aufmerksam lesen
Aufmerksam lesen: Beim Lesen eines Textes kreist man beispielsweise alle Wörter mit der Endung „eit“ ein. Die Kringelbewegung mit der Hand sorgt dafür, dass das Gehirn zusätzlich stimuliert wird.
Neuformung
Neuformung: Man stellt sich ein Wort im Kopf vor und ordnet dann die einzelnen Buchstaben nach ihrer Stellung im Alphabet. Zum Beispiel: Pforte – E f o p r t. Wichtig ist dabei, dass man hier ohne Stift und Zettel arbeitet. Mit der Zeit kann man längere Wörter wählen.
Scrabble im Hirn
Scrabble im Hirn: Man versucht, möglichst viele verschiedene Wörter aus den Buchstaben eines Wortes zu kreieren. Zufall ergibt zum Beispiel Zu, Fall, Lauf, Faul usw. Wenn man will, kann man den einzelnen Buchstaben Zahlen zuordnen und dann die neu gefundenen Wörter in der Zahlenverschlüsselung aufschreiben.
Visualisierung
Visualisierung: Das assoziative Bauen von bildhaften Brücken im Kopf stimuliert Hirnprozesse und hilft dem Gedächtnis auf die Sprünge. Um sich zusammengesetzte Wörter – z. B. den Namen des Trainers Kürsteiner – zu merken, stellt man sich einen Mann vor, der auf einem Stein eine Kür tanzt.
Wahrnehmung
Wahrnehmung: Beim Betreten eines neuen Raumes versucht man, möglichst achtsam viele Details wahrzunehmen. Dann schließt man die Augen und versucht, sich an das Gesehene möglichst vollständig zu erinnern. Vorteil: kann so gut wie überall praktiziert werden.
Methode der Orte
Man wählt zuerst einen Weg aus, an dem gut bekannte und markante Orte liegen, zum Beispiel den Weg zur Arbeit oder zum Bäcker. Dann werden die zu lernenden Informationen durch eine bildliche Vorstellung mit den Orten verbunden. Um die Begriffe abzurufen, geht man gedanklich die Strecke zur Arbeit oder zum Bäcker vom Anfang bis zum Ende durch.
Bewegung
Durch Bewegung bildet das Gehirn ständig neue Synapsen. Körperliche Aktivitäten sind für manche Experten sogar wichtiger für das Gedächtnis im Alter als mentales Training. Ideal ist die Kombination, also etwa beim Laufen, Treppensteigen, Schwimmen oder flotten Spazierengehen etwas auswendig lernen. Gehen Sie doch mal mit dem Hund Gassi und pauken nebenbei die Namen aller bisherigen Bundeskanzler!
Gruppendynamik
Gemeinsam macht Gehirnjogging richtig Spaß und ermöglicht dynamische Bewegungen. Beispielsweise auf einem Bein stehen und reihum eine bestimmte Zahlenfolge aufsagen. Oder im Raum herumlaufen, um an einer anderen Stelle im Stehen eine Merkübung durchzuführen. Dann wieder hinsetzen – aber bloß nicht auf denselben Platz wie zuvor.
Zählen im Takt
Diese Übung steigert die Konzentration. Sie brauchen dazu eine Uhr mit Sekundenzeiger, ein Metronom oder den Timer bzw. eine Metronom-App auf dem Smartphone. Zählen Sie pro Sekunde in Zweiersprüngen ab 100 rückwärts: 98, 96, 94 … Bei jedem Fehler starten Sie von vorne. Steigern Sie den Schwierigkeitsgrad: schneller, in einer Fremdsprache zählen oder in anderen Intervallen (3er-, 4er-Sprünge etc.).
Bilder statt Zahlen
Telefonnummern merken und zuordnen: Für jede Zahl erstellt man im Kopf Bilder und verbindet sie so, dass Geschichten entstehen. Beispiel: Paul trägt ein T-Shirt mit einer großen „75“ darauf. Die Vorwahl lautet so 0175. Weiter geht die Reise mit Pauls Auto, also auf 4 Rädern, durch die Nacht (8), während Regen fällt (6, die Form von Regentropfen). Dann dreht Paul eine Runde im Kreis (0) – usw.
Gehirnjogging – alles, was das Gedächtnis trainiert
Was ist Gehirnjogging überhaupt? „Mentales Training“ oder Denksport? Eine eindeutige Definition fällt selbst dem Experten für Gehirntraining schwer. „Der Begriff Gehirnjogging ist wenig fassbar. Ich spreche lieber von Brain-Tuning, das ist noch nicht verwässert“, so der Psychologe. Seiner Ansicht wird das Hirn ohnehin bei jeder Aktivität gefordert. Selbst beim Fernsehen! Dabei sei jedoch die Art des Fernsehens wichtig.
Aktivierungstraining – das Hirn fordern
Beim Schauen von Telenovelas oder „flachen“ Spielfilmen werde hauptsächlich der Hinterhauptlappen angesprochen, der lediglich visuelle Impulse verarbeitet, erklärt der Psychologe und fügt hinzu: „Anspruchsvolle Sendungen, wie etwa politische Dokumentationen, hingegen aktivieren das Denkzentrum im Stirnhirn – sofern man sich auf sie einlässt.“ Und neben der Konzentrationsfähigkeit steigert man dabei auch noch sein Allgemeinwissen.
Gedächtnistraining muss kein Marathon sein
Aber dennoch – weitaus effektiver für die geistige Fitness ist gezieltes Gehirntraining. Das können ganz einfache Brainjogging-Übungen sein, wie etwa das simple Einkreisen von Wörtern in Zeitungstexten. Man sucht zum Beispiel alle Begriffe, die auf die Silbe „eit“ enden, und umkringelt diese.
Merkfähigkeit spielerisch verbessern
Visualisierung zählt zu den bekanntesten Methoden beim Gedächtnistraining, im Fachjargon auch als Mnemotechnik bezeichnet. Wie diese Art von Gehirnjogging funktioniert, erklärt Peter Kürsteiner, der seit über 30 Jahren als Seminarleiter für mentale Fitness arbeitet und ein Denksportportal im Netz betreibt. „Die Mnemotechnik ist eine der wichtigsten Techniken, die ich anwende und vermittle“, erklärt Kürsteiner. „Hierbei werden im Kopf bildhafte Brücken gebaut. Durch die Visualisierung erinnern wir uns leichter und trainieren unser Gehirn.“
Praxisbeispiel: Einkaufsliste im Kopf
Dass es sich dabei eher um alltägliche Dinge als um herausfordernde Problemlösungen handelt, zeigt unser Praxisbeispiel: Wenn Werner Schledt Besorgungen macht, braucht er keinen Einkaufszettel. Seit mehreren Jahren praktiziert er in seinem Alltag Gehirnjogging. Einkaufslisten speichert der 77-jährige Schledt nicht auf Papier, sondern im Kopf. Seine Methode ist seine ganz persönliche Form von Visualisierung: „Bevor ich einkaufen gehe, lege ich mir die Besorgungen gedanklich auf meinen rechten Schuh: Brötchen, Blumen, Käse und vielleicht auch noch den Kontoauszug. Sobald ich dann ein klares Bild im Kopf habe, gehe ich los.“ Der Rentner ist dadurch geistig fit und aufnahmefähig geblieben, kann sich vieles merken und vergisst nichts. Das wissen auch seine Freunde und Verwandte zu schätzen: Termine muss sich der Rentner nicht aufschreiben. Er kommt immer pünktlich.
Erinnerungsvermögen wahrnehmen
Der rüstige Rentner hält damit nicht nur sein Gehirn auf Trab. Für die Gehirntraining-Experten sind vor allem im Alltag die Effekte des Gehirnjoggings sehr positiv. „Die regelmäßige Beanspruchung des Gehirns durch bestimmte Übungen steigert das Selbstwertgefühl und die Lust an der Kommunikation“, erläutert Lehrl. Kürsteiner pflichtet dem bei: „Meine Klienten gewinnen durch das Training eine neue Beziehung zu ihrem Denkapparat, die dazu führt, dass sie selbstsicherer werden.“ Die Einstellung zum eigenen Erinnerungsvermögen sei mindestens genauso wichtig wie die tatsächlichen Prozesse im Hirn. „Und diese neu gewonnene Einstellung führt letzten Endes dazu, dass die Klienten, die sich aufs Brainjogging einlassen, sich vital und wohl fühlen.“
Kritik: Transfereffekte nicht belegt
Die Wissenschaftsautorin und Psychologin Barbara Knab ist hingegen nicht davon überzeugt, dass Gehirnjogging an sich die Lernfähigkeit trainiere. Sie verweist darauf, dass bisher keine Meta-Analyse allgemeine Transfereffekte von Gehirnjogging belege: „Natürlich ist Hirnjogging besser als Nichtstun oder Fernsehen. Dennoch: Wer regelmäßig Sudoku spielt, lernt dabei Sudoku. Fertig.“ Die Lernfähigkeit als solche trainiert man damit ihrer Ansicht nach nicht.„Viel mehr hilft es, wenn man sich geistig mit Dingen beschäftigt, die einen wirklich interessieren. Auch im Alter.“
Bester Trainingsplan: miteinander reden
Was die Psychologin Senioren rät: neue Informationen beschaffen, darüber nachdenken und – ganz wichtig – mit anderen darüber reden. „All das hält Gehirn und Gedächtnis fit, weil man dann das Neue geistig besser verarbeitet.“ Allgemein sei es nützlich, Dinge zu tun, die geistige Flexibilität erfordern. Dazu gehöre etwa, regelmäßig zwei Sprachen zu sprechen oder Musik zu machen, etwa im Chor singen. Knab findet, „körperliche Bewegung ist für das Gedächtnis im Alter viel wichtiger als Hirnjogging“.
Hirnjogging macht Spaß, Bewegung hält Körper und Geist fit
Darin sind sich die Experten einig: Bewegung hält den Geist fit – und sei dies nur ein 20-minütiger Spaziergang pro Tag. Ebenso unerlässlich sind erfüllende Aktivitäten und ein Fokus auf motivierende Ziele. Rentner Werner Schledt macht alles richtig: Er hat mehrere Ehrenämter, steht aktiv im Leben und wendet ganz alltäglich Techniken des Gedächtnistrainings an. Einkaufslisten vergisst er nicht – die hat er im Kopf.
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